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Vor dem Transport



Textauszüge aus dem Katalog erschienen anlässlich Ulrike Kapplers Rauminstallation „Vor dem Transport“  im Schloss Rastatt.

Verfasst von Dr. Kirsten Claudia Voigt  ( Kunsthalle Karlsruhe )

Auf dem Weg zum Fest – zu Ulrike Kapplers Installation „Vor dem Transport“



Dieser Raum wartet. Alles liegt bereit. Vieles scheint gerade abgestellt worden zu sein, manches vergessen. Es ist still. Jemand war da und ist gegangen. Es bleiben Zeichen der Abwesenheit. Ein Kompass, ein Koffer, Schuhe und Handschuhe, das kleine Bild eines fahlen, merkwürdig alterslosen Gesichts. Haben den Reisenden die Hinweisschilder genarrt, die in zwei Richtungen zeigen ? Auch der Kompass und der Koffer stehen für Fragen: Wohin ? Womit ? Vielleicht will hier alles verändert  werden, vielleicht legt sich aber auch grauer Staub auf diese merkwürdigen hölzernen Aufbauten, auf die golden glänzenden Kugeln. Wer hierher kommt tritt ein in einen Moment. Er dauert schon lange, stimmt merkwürdig nüchtern und feierlich, traurig und entschlossen zugleich. Er riecht nach Holz und Erde. Er klingt metallisch. „Vor dem Transport“ heißt die Installation von Ulrike Kappler im Rastatter Marstall. Sie ist ein Wartesaal voller Rätsel, die zum Aufbruch drängen.

Im Zentrum, neben den Relikten des Verschwundenen, liegt unbetretbar der Hauptschauplatz: Ein trockenes Erdfeld breitet sich hier auf einer kreuzförmigen Holzbühne aus, nur etwa dreißig Zentimeter über dem Betonboden. Erde – uns zu Füßen, aber doch leicht erhoben – wird ausgestellt und verweist in konkreter Anschaulichkeit auf sich selbst und unseren Planeten. An einer Seite der Aufschüttung liegen vier große Kugeln. Sie scheinen am unteren Ende leicht ansteigender Platten zur Ruhe gekommen zu sein. Beide Elemente, die Kugeln und die schiefen Ebenen, bestehen aus Messing. In einem begehbaren schwarzen Kubus gleich daneben hängen eben jene Messingplatten bereit, um vom Besucher berührt und in klangvolle Schwingung versetzt zu werden. Und  erneut trifft man hier Kugeln, drei an der Zahl.

Die zentrale Erdbühne läuft sanft in helle Stoffbahnen aus. An einer der Stirnseiten wird die Erde angehoben, die Stoffbahn baumelt an Seilen, die unter dem Giebel des hohen Gebäudes festgemacht sind. Gegenüber an der Stirnseite der Erdbühne sind Steine aufgehäuft, zwischen denen gläserne Tafeln stecken. In einer Schale, die Teil einer geöffneten Messingkugel ist, liegt wiederum Erde, nicht heimische, sondern fremde, mitgebracht aus Griechenland. Das Motiv der Trage, das die angehobene Stoffbahn  hier ins Riesenhafte transformiert anklingen lässt, wiederholt sich in den beiden hinteren Aufbauten. Dort baumeln schwarze Gummibahren zwischen den hölzernen Gerüsten.Diese Gerüste stehen auf Halbwürfeln, hohen schwarz gestrichenen Sockeln. Sockel und Gerüst ergäben aufeinander gelegt einen Würfel. Die scheinbar hermetischen Sockel sind in der Tat Schreine, die sich öffnen lassen. In ihnen befindet sich jeweils eine kleine Installation. Im einen liegt ein Lager aus Heu, daneben stehen elf Holzräder, im anderen wartet ein geöffneter Käfig.

Über dem Erdfeld hängt unbewegt eine gläserne Schaukel – eine ätherische Variation der Bahrenmotivs. In weißer Schrift steht auf ihr geschrieben: „Viele Grüße an Jupiter“........Ihr Gruß an Jupiter ist, wie die Künstlerin selbst sagt, gemeint als „Hinweis auf eine neue Bewusstseinsstufe“...

Mit den Holzbühnen, einem aufgeschobenen Würfel, einem Tor-Objekt, das den Titel „Die Schwelle“trägt, zwei aufgerichteten schwarzen Wänden, mit einem großen Glaskubus, verschiedenen dimensionierten Stahl- und Messinggerüsten und deren labyrinthischem Arrangement im Raum inszeniert Ulrike Kappler ein abstraktes, in einigen Teilen streng berechnetes, in anderen intuitiv entworfenes Welttheater. Es ist Teil einer Auseinandersetzung mit der Situation des Planeten Erde, dem Status des menschlichen Bewusstseins und einer Utopie. Kapplers konzeptionelle Überlegungen, ihre Aktionen stehen unter dem Arbeitstitel: „Vorbereitung für das Fest der Erde“. Zu diesen Aktionen gehört etwa auch eine in Griechenland, während der sie sich die in die Rastatter Installation integrierte Erde von Einheimischen übergeben ließ, die ihre Idee, irgendwann in der Zukunft ein „Fest der Erde“ zu feiern , begeisternd fanden, wie die Künstlerin erzählt. Ulrike Kappler stellt mit ihren Werken Requisiten, Kulissen, Instrumente bereit, mit denen Arbeit am Bewusstsein geleistet werden soll. Ihre Kunst ist engagiert, zielt auf Veränderung, wenn auch mit eher mysteriösen als plakativen Appellen.

In der vom Haupteingang aus betrachteten rechten Hälfte des Marstalls hat die einstige Schülerin von Joseph Beuys in strikt ausgerichteten Reihen 20 geöffnete Transportkisten hochkant als Pulte aufgebaut. Das Arrangement mutet vorläufig an wie manches hier. Auf den Transportkisten liegen kleine schwarze Tafeln und Kreide. Von hier aus lässt sich der Raum entlang seiner Hauptachse überschauen. Er wirkt optisch komprimiert. Der Blick wandert über die Erde in gerader Linie auf das große schräg gestellte Tor zu. Eine hermetisch verschlossene Holzwand ragt hier in einem hohen Stahlgerüst auf. Das Türmotiv ist der Wand lediglich durch Balken aufgesetzt. Es entsteht keine echte Öffnung. Das Tor bleibt verschlossen. Geöffnet hingegen sind die anderen Elemente: Die Gerüste auf den Sockeln, die Messing- und Stahlrahmen neben der Erdbühne, der aufgeschobene Kubus. Das Motiv der Öffnung wird hier mehrfach variiert präsentiert. Schließlich auch im Objekt des Glaskubus, der einerseits ein geschlossener Körper, andererseits aber optisch transparent ist. Auch das Motiv des Glasbehältnisses kehrt wieder: Stelenartigen Stahlgerüsten , den „Wächtern“ , die sich in massierter Formation zwischen dem schwarzen Kubus und der Erdbühne auf-gebaut haben, setzt Kappler Glaswürfel auf, die sie als „Köpfe“ bezeichnet.

Ulrike Kappler hat den Raum vollgepackt mit Ideen und Angeboten, Utensilien und Begriffen, mit hochaufragenden geometrischen Objekten und in ihnen versteckten intimen Szenerien, mit einem horizontal ausgebreiteten Bodenstück (dem Erdfeld), mit ausdrücklichen Feststellungen (etwa „und die Tiere werde begeistert sein“) und geheimnisvollen Symbolen (etwa der kleinen Zeichnung auf einem der Handschuhe), die erst bei näherer Betrachtung wahrnommen werden können. Immer treten Begriffe zu den Objekten hinzu. Eine Transportkiste trägt die Aufschrift „Kunst“. Zwischen den Steinen lesen wir auf Tafeln etwa: „Erdenauftrag“, „Energieauftrag“, „Zukunftsimpuls aus dem Zwischenreich“, „Heilende Energie“, „6 000 000 000 Energiezellen“, „Produktion ethischer Qualitäten“, „Wärmesubstanz aus dem Zukunftslabor“ und „Ja“. Drei weitere „Wächter“, deren Glasköpfe zum Teil gummiert und verdunkelt sind , funktionieren als Stelen mit Spiegelschrift: Auf ihnen liest man die Worte:“Der Anlass“, „Der Auftrag“ und „Transport“.

Auch surreale, lyrische Äußerungen finden sich in diesem Raum, fast versteckt hängt eine am Eingang des schwarzen Kubus:“das bestiegene Gebet steht dreimal unverblüht im Geäst, wo ein vergnügtes Licht wurzelt“. Diese verbalen Funde provozieren: Eine intellektuelle Auseinandersetzung mit den Gegenständen wird auf diese Weise eingefordert. Ergebnisse diesen Dialogs mit den Dingen könnten sich auf den Tafeln niederschlagen, die auf den Transportkisten bereitliegen. Der Besucher wird aufgefordert zu interagieren, Gedanken und Skizzen, Absichtserklärungen oder Eindrücke festzuhalten. Ulrike Kappler nennt diesen Teil ihrer Installation die „Sammelstelle“ und„Begriffsstation“. Hier werden Ideen, Konzepte, Kräfte und Entschlüsse gesammelt. Und dann könnte es losgehen. Am Rande dieser Pult-Passage liegen eine Transportkiste und ein Transparent bereit, als könnte man auch hier gleich mit anpacken, sich einmischen, etwas bewegen und auf den Weg zum „Fest der Erde“ bringen, was wohl so viel heißt wie zum Fest der Versöhnung mit uns selbst und unserer Umwelt. Dem Gedankenexperiment, der Arbeit im Begriffs-Labor, der theoretischen Erkenntnis soll praktisches Handeln folgen.

Der Titel „Vor dem Transport“ impliziert das Element des Transistorischen, das diese Installation in verschiedenen Kontexten thematisiert. Einerseits beschreibt die Einrichtung eine aktuelle Situation, andererseits deutet sich an, dass ein Aufbruch ansteht, ein neues Ziel angesteuert werden muss. Die Kisten sind da. Tragen hängen bereit. Mit Transparenten wäre zu demonstrieren, öffentlich auszudrücken, was die Aufbrechenden bewegt, wohin sie sich begeben werden. Nietzsche suchte nach den Menschen, die „neue Werte auf neue Tafeln schreiben“. Auch das ist hier möglich. Der Besucher findet sich in der Installation im Augenblick vor der Bewegung, im Jetzt mit dem Gedanken an die Zukunft, im Hier mit dem Blick auf das Dort. Denn: Wer und was (so) bleibt, geht unter....

Die Künstlerin agiert nicht im Rahmen einer ausformulierten, einer fixen Theorie. Sie operiert – zumindest bei
ihrer Arbeit für Rastatt – an einer interessanten Schnittstelle: Sie kombiniert einen in mehrerer Hinsicht strengen und formal autonomen geometrisch-architektonischen Raumentwurf, den sie am Modell erarbeitete, mit intuitiv gesetzten bedeutungstragenden Objekt-Akzenten. Neben den schon erwähnten Elementen tauchen zum Beispiel eine umwickelte Axt, Salzkristalle, eine Eisenplatte, auf der jemand Handabdrücke hinterlassen hat, und ein Ziegenhalsband mit Glöckchen auf. Diese Objekte, wie Überbleibsel, wie Reliquien, wie Sammelstücke aus einer Wunderkammer oder magische Zeichen, wie Requisiten für Rituale hier abgelegt oder auf uns gekommen, eröffnen einen denkbar weiten Interpretationsspielraum. Thematisiert wird unter anderem immer wieder das Zusammentreffen des Gegensätzlichen: Geöffnetes trifft auf  Verschlossenes, Bewegliches (im Rad-und Kugelmotiv) auf Erstarrtes (Steine und Gitter), Opakes auf Transparentes, Hell auf Dunkel. Daraus entstehen Spannungen oder Mischungen. Im Dazwischen soll Entscheidendes passieren:“Zukunftsimpuls aus dem Zwischenreich“, heißt das in der Sprache Ulrike Kapplers. Thematisiert wird das Phänomen des Verschwindens: etwa mit Hilfe des zurückgelassenen Koffers, mit dem Motiv des verlassenen Käfigs, des leeren Ziegenhalsbandes. Diese Zeichen des Entschwindens können als positive Symbole für Befreiung oder als negative Verlustanzeigen gelesen werden. Zwingenden Festlegungen entzieht sich die Installation durch ihre Komplexität.

Die großen Aufbauten sind primär auf den Raum hin entworfen. Die schwarzen Sockel etwa - halbe Würfel - nehmen das Maß des Abstandes zwischen Boden und unterer Fensterkante auf (2,40 Meter). Alle sichtbaren Holzteile ergeben zusammengesetzt einen riesigen Würfel, ein ideales Ganzes, eine wunderbare Transportkiste. Die Objekte im Raum, auf den Sockeln sind teilweise formal abstrakter Struktur – wie etwa die Messing-Elemente, Glaskubus und Gerüste. Andernteils sind es Gegenstände aus der Alltagswelt von fast narrativem Charakter – wie etwa die Reliquien: Koffer, Kompass, Handschuh und Schuhe. Hier taucht ein melancholisch-zirzenisches, ein fantastisch-theatralisches Moment im Werk auf – sehr zurückgenommen und doch irritierend inmitten dieser rationalen, angenehm nüchternen Anlage. Ulrike Kappler nennt ihren mysteriösen Abwesenden, von dem man nicht weiß, wie lange er ausbleibt oder ob er überhaupt zurückkehren wird, den „Clown der Dämmerung“. Man fühlt sich an Beckett und Godot erinnert, die zweifelhafteste und geheimnisvollste aller Erlösergestalten. Mit der Epiphanie des Clowns ist zu rechnen, stattfinden wird sie zwischen Tag und Nacht, zwischen heute und morgen, zwischen hier und dort, zwischen dem Sein und dem Nichts. Hier verwandelt sich die Installation trotz ihres farblich beherrschten Grundklangs – von Schwarz, hellem Holzton, Messing und Erdbraun - ,trotz ihrer sehr realen Präsenz in eine Traumlandschaft.

Tatsächlich geht die konkrete künstlerische Beschäftigung mit einigen Elementen dieser Inszenierung – vor allem mit den Gehäuseformen und Behältnissen – auf eine nächtliche Vision, einen eindrucksvollen Traum zurück, der
Ulrike Kappler nachhaltig beschäftigte. Die Künstlerin beschreibt eine Prozession, die sich auf einer langen Straße bewegte. Der klare Blick auf das, was die Menschenmenge trug, war versperrt. Hoch ragte es auf. Den hier errichteten Gerüsten ähnelte es. „Ich wusste nicht, was diese Menschen trugen. Ich wusste nur, es war etwas unendlich Kostbares und Wichtiges für uns alle.“

Mit „Vor dem Transport“ versucht Ulrike Kappler vorsichtig zu ergründen, was dieses unendlich Kostbare, Wichtige für uns alle ist. Sie gibt diese Frage weiter, an jeden, der den Raum betritt. Der Raum wartet. Jemand war hier. Und die Erde ? Sie ist schon ein Stück angehoben – vor dem Transport.







Ulrike Kappler * Tel. 07248 - 8268 * Email: ulrikekappler.lia@googlemail.com